Sonntag, 1. Dezember 2013

Gastbeitrag: Laienhirn vs TecSpecs:



Vor einigen Wochen hab ich den Space-Thriller „Gravity“ gesehen. Gruselig! Der allerallerallerschrecklichste Moment: Sandra Bullock hat es nach buchstäblich überirdischen Strapazen bis in die rettende Raumkapsel geschafft – und muss die Bedienungsanleitung der Kapsel lesen! Alle Tasten der Steuerkonsole auf Russisch! Später dann (in der zweiten Raumkapsel) auch noch auf Chinesisch! Zum Glück für die Heldin hatten beide Manuals auch Bilder wie die Aufbauanleitungen bei IKEA.

Aber vor jeder Bedienungsanleitung steht der Kauf und vor dem Kauf die Auswahl. Für oberfaule „Laien-Kunden“ wie mich, die keine „Hausaufgaben“ machen und TechSpecs lernen, aber trotzdem gern einen Tablet-PC haben wollen, überirdisch herausfordernd!
Zuerst: Ein tierisch-technisch klingender, Ehrfurcht einflössender, futuristischer Produktname wie SupercooltechFirma AB2013Jwd XZL. Sind diese Produkte vielleicht nur aus Versehen auf dem Markt, weil sie noch diese code-artigen abgekürzten TecLab-Namen haben?
Ich bin von so was tief beeindruckt (und das ist der Sinn), aber auch traurig, weil ich nicht verstehen kann, was die kryptisch abgekürzten Buchstaben und Zahlen bedeuten (und das ist nicht der Sinn).
LifeTab – das scheint sozusagen der Vorname des Produkts. Daran klammert man sich erst einmal fest, das weckt auf jeden Fall positive Assoziationen: Wahrscheinlich ein Tablet für das Life, das Leben, mit Lebensecht-schnellen Aufnahmen, klingt durchweg gut.
Dann folgen „TecSpecs“, die z.B. so ähnlich lauten:

25 cm (10 Zoll) – das ist die Bildschirmweite, schräg von Ecke zu Ecke. Ok das kapiert inzwischen jeder, das hat sich auch zu Kunden bis hinter dem Mond herumgesprochen. Und danke auch für die Zollangabe, falls ich mal in die USA verreise, ist das gut zu wissen. Sieben Zoll reichen für eBooks, zehn Zoll lieber für Filme – aber wie viel von was passt drauf?

Dann kommt’s: ARM Cortex A9 – Cortex? Hirn? Stand da am Anfang sonst nicht immer irgendwas von Prozessor wie „Intel inside“??? Da wusste auch der letzte IT-lobotomierte Vollpfosten von vorgestern, dass das Gerät gut sein musste, eben weil „Intel inside“ war. Was ist jetzt plötzlich der Cortex? Da gibt’s doch im menschlichen Hirn den gleichnamigen präfrontalen ... klingt auf jeden Fall super. Wahrscheinlich ist dieser Tablet einfach superschlau, wenn er irgendwo in seinem flachen Gehäuse auch so einen Cortex hat, den normale Menschen in einem rundlichen Behälter von bis zu anderthalb Litern Fassungsvermögen auf ihrem Hals aufbewahren. Wieviele Bilder, Hörbücher und Musikstücke der Tab damit wohl jonglieren kann?

1,6GHz oder DualCore – GigaHertz, da geht’s um Schwingungen (weil „Herz-mit-T“, das war ja irgendwas mit Schwingungen, gell?), wer English spricht, kann jetzt auch evtl. an Tai Ginseng denken und sich das Ganze so herleiten: Dual Core als Kraft der zwei Herzen, und zwei ist meistens besser als eins. Hertz, Herz, Ghz – das sagt, wie schnell der Prozessor ist. Der Prozessor, das weiß jedes Kind, ist das „getaktete Herz“ des Geräts – bzw. eigentlich das denkende Hirn, aha, genau der ominöse Cortex von eben! Bei Maschinen ist das anatomisch anders als bei Menschen, da ist Herz und Hirn irgendwie eins. Die Prozessorleistung sagt aus, wie schnell der Tablet Daten verarbeitet. Giga ist besser als Mega und Dual ist besser als Uni, also ist das wahrscheinlich einfach ein ziemlich schnelles Gerät und bei den Konkurrenzgeräten steht da meistens ja auch irgendwas mit 16.

1GB RAM – was war noch gleich RAM, Random Access Memory, sicher kein Speicher mit zufälligem Zugang, also schnell googeln: RAM ist der Arbeitsspeicher. Und, logisch, je mehr Arbeitsspeicher, desto mehr kann ich gleichzeitig machen zB Musik hören und Bilder anschauen – viel RAM ist wie eine fähige Sekretärin, die ist auch multitaskingfähig. Aber was und für wieviele Sachen? Und welche Formate? 1 GigaByte sind 1.000.000.000 Byte, ein Byte ist laut Wiki eine Speichermenge oder Datenmenge, die ausreicht, um ein Zeichen darzustellen ... ich weiß bloss immer noch nicht, wie viele Musikstücke, Bilder, Hörbücher und so weiter auf das Tablet passen ... aber Giga ist auf jeden Fall gut, weil besonders groß und die anderen Geräte haben auch alle irgendwas ähnliches.

Weiter: 16GB HDD – was ist denn gleich HDD? Wieder schnell gegoogelt: Hard Drive Disk! Hard Drive war Festplatte (auch HD abgekürzt. Wenn’s um Fernseher geht, steht HD für High Definition, aber hier geht’s nicht um Fernsehen, Filme gucken, also die unerwünschte Assoziation ganz schnell wieder vergessen), und die HD ist hier auch wieder Giga also mega-mega-groß, 16 GB Festplatte für all meine Inhalte! Super! Mein tragbares Bücherregal! Wieviel passt wohl ungefähr drauf? Ich weiß es immer noch nicht. Aber auch die anderen Geräte haben ganz viele Angaben mit 16 und einer ähnlichen Abkürzung dahinter.

16GB Flash Speicher – noch ein Speicher! Warum noch einer? Lieber nicht dumm fragen, sondern schnell googeln: „Flash-Speicher finden überall dort Anwendung, wo Informationen persistent (nichtflüchtig) auf kleinstem Raum – ohne permanente Versorgungsspannung – gespeichert werden müssen wie zb in mini-HDMIs (...)“ Das auch noch schnell gegoogelt & gewikit: Aha, Mini-HDMIs sind Speicherkarten oder USB-Sticks. Geistesblitz! Das kennt man, das sind diese super-bequemen daumennagel-kleinen Steckdinger, die man überall dabei haben kann, um Daten zu laden oder einfach zwischen Geräten hin und her zu transportieren. Flash steht sozusagen für Informationen auf kleinstem Raum, also auch in der Handtasche, das ist doch super! Und gleich noch ein neues Wort gelernt: persistent. Wieviel meiner Daten wohl persistent auf diesen Flashspeicher passen? Und wo der genaue Unterschied zwischen permanent und persistent liegt oder ob es synomym benutzt werden kann? Schnell gegoogelt, die Neugierde siegt: tatsächlich – synonym.

SGX-544 – fix googeln: Alles klar, das steht für schöne, klare Bilder und Grafiken. Wieviele davon wohl draufpassen? 544? Bestimmt viel mehr bei weniger anderen Dateiformaten.

Android 4.2 – schon mal gehört, sicherheitshalber aber auch lieber schnell googeln: Das ist das Betriebssystem mit dem kleinen grünen sympathischen Männlein, das hab ich auch auf meinem Handy – wahrscheinlich können Tablet und Handy über ein Kabel oder kabellos über Bluetooth („Bluuuhtuuuuf“ = ohne Kabel, das immerhin haben wir uns gemerkt, und auch, das der merkwürdige Name auf den frühmittelalterlichen dänischen König Harald I., genannt Blauzahn, zurückgeht, weil der sehr kommunikationsfreudig war und gern Blaubeeren ass, die ihm die Zähne verfärbten. Wer’s nicht glaubt, kann es googeln) Daten austauschen, wenn sie dasselbe Betriebssystem haben, oder? Das wäre ja auch nicht verkehrt. Wieviele Daten von meinem Handy wohl auf’s Tablet passen?

W-Lan – gibt’s nur daheim, im Büro oder an öffentlichen Hot Spots. Wer trotzdem mit dem Tablet im Internet surfen, Mails verschicken oder in Geschäften TecSpecs googlen will, braucht neben einer Tastatur vor allem auch eine Mobilfunkanbindung: 3G, 4G, UMTS, LTE oder Cellular. Und dafür eine SIM-Karte und dafür einen Laufzeit- oder Prepaid-Vertrag bei einem Mobilfunkanbieter ... Moment, ein Handy hab ich doch schon und ein ultraflaches Notebook mit Tastatur auch (es wiegt samt Ladegerät wenig, sieht wahnsinnig cool aus und passt in die meisten meiner Handtaschen.)
Googlest Du schon? Oder fragst Du noch Mitarbeiter?

Ohne Google und Wiki wären Laien-Kunden aufgeschmissen, zumal oft kein Mitarbeiter verfügbar ist. Oder wenn nur die kryptischen TecSpecs runterbetet und man sich noch dümmer fühlt. Schlimmstenfalls verstehen Laien-Kunden ohne Hilfestellung nur die letzte, lapidare Produktangabe: „schwarz“.

Ich hab nur etwa zehnmal gegoogelt. Bin aber leider immer noch nicht schlauer, wie viele Daten ich ungefähr auf das Tablet packen könnte ... Schließlich – warum bin ich eigentlich nicht gleich drauf gekommen?- google ich meine Frage: „Wieviele Daten passen auf ein Tablet PC?“
Dazu gibt es etwa 3,1 Millionen Ergebnisse. An erster Stelle eine Kauf-Hilfestellung in „Der Spiegel[i]”. Der Artikel ist gut, wirft aber neue Fragen auf: Sieben oder zehn Zoll? Wieviel war das jetzt gleich wieder in der gewohnten Einheit Zentimeter? Retina-Display ja oder nein?
Und dann: „Wie viel Speicherplatz man braucht, hängt entscheidend davon ab, wie man das Gerät einsetzen will. Nur, wer sehr viel Musik und Filme auf dem Tablet ablegen will, braucht eine 64-GB-Variante.” Ok, das leuchtet ein, aber was genau ist „sehr viel?”
„Anwendern, die ihr Tablet hauptsächlich zu Hause nutzen wollen, dürften zumeist 16 GB Speicher reichen.“ Heißt das, dass man zuhause automatisch weniger als ‚sehr viel’ hat?” Warum? Weil man zuhause einen Fernseher, ein DVD-Regal, einen CD-Player hat? Hab ich alles nicht …” 16 GB seien genug für viele Dutzend Apps, ein wenig Musik, Fotos und vielleicht ein paar Videos oder einen Film. Wer sich nicht sicher ist, sollte 32 GB Speicher wählen. Den goldenen Mittelweg zwischen 64 und 16. Ich bin mir nicht sicher ... also 32.

FAZIT:
Keep it complicated and make it simple
IT-Laien-Kunden wie ich sind wirklich fürchterlich. Dumm, faul und ignorant. Eigentlich sollten sie zur Strafe für nicht gemachte IT-Hausaufgaben gar keine IT-Produkte kaufen dürfen. Wollen sie aber. Und träumen von einem eingebauten Übersetzungsprogramm, von ansprechenden Infographiken: Kleine, freundliche Symbole, die übersetzen: 32 GB = etwa X Hörbücher, Y Filme Z Apps. Oder einem Lifestyle-Test „Welcher Tablet-Typ sind Sie?“
Das klingt kompliziert und marketingkostenintensiv. Immerhin war die Entwicklung des Produkts schon aufwendig genug und die spezifische Sprache der Entwickler sagt doch auch exakt und ohne Bedeutungsverluste und Ungenauigkeiten aus, was das Produkt alles kann. Vorausgesetzt, alle sprechen diese Sprache und tragen gern Karohemden.
Und überhaupt – komplex und simpel, wie soll das gehen? Man kann nicht alles haben, was für Eingeweihte einfach und für alle anderen kompliziert scheint, weil sie partout kein TecSpecSprech lernen wollen, ist eben Pech. Basta!

Die Lösung: Sowohl als auch
Statt entweder (kompliziert) oder (vereinfacht) sowohl als auch. Keep it complicated AND make it simple. Das wichtigste Wort  in diesem Satz ist „and“. Machen Sie beides, übersetzen Sie komplexe Informationen in Metaphern, immerhin ist ja auch ein Wort wie „Cortex“ für einen besonders Gehirn-ähnlich-schnellen Prozessor aus der medizinischen Terminologie entlehnt.
Liebe Hersteller von Tablet-PCs und sonstigen IT- oder komplexen Produkten (wie z.B. auch Versicherungen, Finanzdienstleistungen etc.), es ist total ok, eure Produkte weiterhin mit den bisherigen TecSpecs zu bewerben, weil es Menschen mit TecSpecSpreck-Kenntnissen gibt, die diesen Zungenbrecher auch noch nach fünf Bier stolperfrei aussprechen können.
Aber ZUSÄTZLICH zeigt doch bitte auch vereinfachende Infographiken: Mehrere Tortendiagramme zusammen, die zeigen, wie viel Inhalt welchen Formats durchschnittlich-in etwa-ungefähr-geschätzt auf ein Tablet-PC passen (ist Ihnen mal aufgefallen, wie viele Leute in Mathe schlechte Noten hatten, aber keinerlei Probleme damit haben, von etwas den Durchschnitt zu bilden oder das begriffliche Konzept als „ungefähr“, „in etwa“ zu verstehen?).
Bieten Sie im Geschäft einen nett aufgemachten Test an, wie viel Musik, Hörbücher, Apps, Bilder, Videos jemand durchschnittlich nutzt und wie viele andere Geräte er oder sie besitzt. Fragen Sie den Kunden auf diese Weise doch erst einmal über seine oder ihre Daten-Gewohnheiten und lassen sich so die benötigte Info vorsortieren. Ein nett aufgemachter Test ermöglicht hohe Vergleichbarkeit der Kunden-Daten zu Marktforschungszwecken, ist nicht nicht personalintensiv und hat eine eingebaute Belohnung, was für ein super-hipper-cooler Tablet-PC-Typ man selbst ist. So einen Test können Sie auch prima auf Facebook und in der Lifestyle-Presse zweit- und dritt-nutzen!





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